Das große Faß: Klischees und Fakten konsequent separiert

Diskusionen zum Thema Rallye und Rallyesprint Veranstaltungen

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Andi Lugauer
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Das große Faß: Klischees und Fakten konsequent separiert

Beitrag von Andi Lugauer »

Kürzlich hat Jemand in einem (Rallye-)Forum einen Thread eröffnet, der mich wirklich aufhorchen hat lassen. Was immer man von der Eröffnungs-„Rede“ hält – und den Antworten darauf – bemerkenswert ist immerhin, daß man sich dem Thema intensiver widmet. Welchem Thema? Dem Thema „Was muß passieren, damit endlich auch wieder ein Deutscher in der Weltspitze (bei Rallyes) mitfährt“.

Das Thema steht eng in Verbindung mit dem Zustand des Rallyesports im deutschsprachigen Raum. Und warum der aktuell eher mau und lau ist. Dafür sehe ich einige Gründe. Ich hätte mich gerne dazu in dem betreffenden Forum zu Wort gemeldet, aber das darf ich ja nicht…

Darum hier meine Stellungnahme. Und zwar ohne Polemik, ohne irgendwelche ideologische Einfärbungen, aus denen eine bestimmte persönliche Pro- oder Kontra-Haltung hervorgeht. Einfach nur den wesentlichen Faktoren und Fakten in der Sache Rechnung tragend.

Die Frage war unter Anderem: Was ist ein deutscher Meistertitel wert? Was unterscheidet den von einem französischen, italienischen, finnischen Meistertitel? Meine Sichtweise dazu: Mehr direkter Wettbewerb, mehr Betonung auf die sportliche Komponente. Das kann jetzt richtig oder falsch sein. Das ist jetzt einmal, sage ich jetzt, meine oberflächliche Einschätzung.

Aber gehen wir einmal weiter. Und zwar zum Statement des ersten Antwortenden. Da heißt es unter Anderem: „Die Jugend von heute ist nicht mehr so an Autos interessiert.“ Und wohl damit auch nicht mehr an Rallyes. Dieser sinngemäße Einwand kommt ja immer wieder.

Ich sage dazu: Ich bin ein leidenschaftlicher Auto- und vor Allem Rallye-Anhänger, schon seit fast vier Jahrzehnten. Aber ich frage mich schon, und ich tue das ernsthaft: Hätte ich die gleiche Leidenschaft auch entdeckt und entwickelt, wenn gegen Ende 1984 schon solche Verhältnisse geherrscht hätten wie heute? Da kann ich die Jugend von heute durchaus sehr gut verstehen. Aber dann liegt es nicht an der Jugend, dann liegt es an dem Angebot, was wir ihr bieten.

Sind wir ehrlich: Zwischen dem Anfang und der Mitte der Achtziger Jahre, da hat sich nahezu Alles auf den Rallyestrecken getummelt, was vier Räder hat: Opel Manta, Porsche, Audi, Lancia Stratos und Rally, Toyota Celica (Fritzinger…), sogar Ford Taunus und Mercedes 280…und gleichzeitig ist mitten in der wildesten Zeit ein Golf-Fahrer deutscher Rallye-Meister geworden. Was ich damit sagen will: Es war wirklich ein buntes Leben! Sehr viel anders als heute. Was ist so abwegig an der Annahme, daß sich daraus ein großer Teil im Unterschied in der Begeisterungsfähigkeit der breiten Masse für den Rallyesport begründet, zwischen früher und heute?

Ich bin mir sicher: Es wäre auch – und vor Allem – in der heutigen Zeit, mit den heutigen technischen Möglichkeiten, sehr viel drinnen, um hier die Dinge in die richtigen Bahnen zu lenken. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Mit der Gruppe G (ähnlich wie der M1 Rallye Masters in Österreich) wäre hier im Prinzip sehr viel möglich. Auf einer breiteren Ebene noch viel mehr. Vor Allem, wenn dafür eine entsprechende Unterstützung durch die FIA da wäre. Aber die hat ganz offensichtlich andere Prioritäten...

Die allgemein weit verbreitete Auffassung, Rallyesport wäre im deutschsprachigen Raum eine Randsportart, könnte man damit definitiv aus der Welt schaffen. Und damit breiter Unterstützung durch Sponsoren und andere Lobbys alle Wege öffnen, so die finanzielle Möglichkeit dafür gegeben ist. Wie viele (oder besser gesagt: wie wenige…) Menschen tatsächlich für Rallyes zu begeistern sind, wenn die Qualität einigermaßen stimmt, hat man neulich bei der Jänner-Rallye in Oberösterreich während der ersten Januar-Woche gesehen: Ein Ansturm an Menschen, wie man ihn selten findet…

Wenn es dann weiter heißt, Firmen springen auf den politisch korrekten Zug auf und investieren ihre Gelder lieber NACHHALTIG (man beachte die Schreibweise!), dann kann ich nur fragen: Was heißt NACHHALTIG in diesem Fall? Brauchen wir nicht unverändert Alle das Verkehrsmittel für unser tägliches Leben? Und wie durchdacht sind die aktuell gehypten Alternativen? Wie sieht es da mit NACHHALTIG aus?

Da scheint mir Vieles sehr suspekt und im konkreten Realitätsbezug sehr unsicher. Weil viel zu sehr von Klischees überlagert (so wie auch die Wortmeldungen zu den Themen) und viel zu wenig sorgfältig auf die faktische Belastbarkeit überprüft. Was die „Politische Korrektheit“ an sich betrifft: Wir haben Alle einen Kopf zum Denken, und die Politiker – zumal in Mitteleuropa – sind Alle durch uns gewählt. Und wenn Menschen mit offensichtlich verirrten Denkmustern das Sagen haben, die Richtung bei vielen wichtigen Dingen vorgeben, dann haben wir eben Alle viel zu lange geschlafen. Höchste Zeit, das zu ändern.

Das Resümee von dem Ganzen? Von nichts kommt nichts. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Auch im Rallyesport.

Schließlich und endlich auch: Es hätte durchaus die Möglichkeit bestanden (und sie besteht noch immer), den Rallyesport auch bei Klima- und Umweltschützern nicht so schlecht dastehen zu lassen. Indem man aufgrund der Gestaltung des Reglements mehr Freiraum für gezielte Innovationen setzt, die sich die effizientere Energieausnützung zum Ziel setzt. Was nebenbei auch dazu geführt hätte, daß mehr Hersteller und technische Vordenker Interesse an einem Engagement im Rallyesport signalisiert hätten. Nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis. Diese Chance ist uns bislang durch die Lappen gegangen.

Aber solange man mit kleingeistigem taktischem Kalkül mehr Erfolg erreicht als mit ehrlichem Einsatz für die gute Sache, werden die Weltverbesserer unter den Rallye-Anhängern genauso auf verlorenem Posten stehen wie die wirklich redlichen Umwelt-Aktivisten, denen die Zukunft unseres Lebensraumes und die Perspektive nachfolgender Generationen wichtiger ist als ein billiger Stimmenfang mit realitätsfernen Forderungen. Vielleicht sollten wir uns doch zusammentun - die Idealisten unter den Rallye-Liebhabern und diejenigen, die den Naturschutz wirklich ernst nehmen. Am Ende ist es für beide Seiten das Beste.
Den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen ist nicht zielführend. Denn der führt nach Unten.
Andi Lugauer
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Das große Faß: Klischees und Fakten konsequent separiert (Part Two)

Beitrag von Andi Lugauer »

Es sind jetzt schon ein paar Wochen vergangen, seit ich meinen Eröffnungs-Eintrag hier geschrieben habe. Zeit, um ein paar Ergänzungen anzubringen. Es haben sich in der Kommunikation in dem genannten Medium auch ein paar neue Wortmeldungen ergeben, von denen ich aber bezweifle, daß sie den Sport oder eventuell sonst etwas weiterbringen.

Was mir auffällt in der Diskussion: Es wird immer nur darüber gesprochen, was dagegen spricht, daß ein Deutscher den Weg schafft, in der Rallye-Weltelite mitzufahren. NIE, was DAFÜR spricht! Und dafür, daß der Rallyesport in Deutschland und das, was davon hervorgeht, eine höhere Wertigkeit bekommt.

Das Ganze gipfelt in der Aussage, in zehn Jahren würde kein Rallyefahrzeug in Deutschland mehr durch die Natur fahren. Mag sein, daß es so kommt. Aber dann schaut es für unser gesamtes kulturelles und geistiges Erbe, das wir der Nachwelt hinterlassen, mehr als nur sehr traurig aus. Und wenn einmal Plattitüden wie „Man kann das Rad nicht zurückdrehen“ eine stärkere Wirkung haben als unser Ehrgeiz, Fehler zu korrigieren und nach den bestmöglichen Lösungen in der Sache zu suchen, dann haben wir uns selbst um unsere Berechtigung als mündige Mitbürger gebracht. Frei nach dem Motto (und jetzt bringe ich eine Plattitüde, aber die paßt in dem Fall wie die Faust aufs Auge): Wer sich zum Wurm macht, wird mit Füßen getreten.

Oder was soll die Aussage „Rallye ist halt einfach nicht gerade attraktiv“? Wann hat das jemals nicht viele Menschen angezogen, wenn bunte, laute Autos auf schmalen Straßen oder dreckigen Wirtschaftswegen durch die Landschaft geschlittert sind? Das funktioniert heute noch genauso wie vor vierzig, fünfzig Jahren, wenn die Sache ein bißchen Stil und ein buntes Leben hat. Wie sehr kann man sich als Rallyefan selber mental im Weg stehen? Ist man da überhaupt ein Rallyefan?

Man kann sich eben nicht ewig auf den Lorbeeren ausruhen, aus der Zeit, wo ein Walter Röhrl die Geschehnisse in der großen Rallye-Welt ganz entscheidend mitbestimmt hat und wo von Mercedes bis zu Porsche und Audi jedes deutsche Pkw-Werk in der Rallye-Weltmeisterschaft vertreten war. Weil daß es in Deutschland einmal ein blühendes Rallye-Leben gegeben hat, wo Alles wie von selbst gelaufen ist, das ist ja Tatsache. Und daß es nach wie vor Nationen gibt, wo Rallyes in der Gunst der breiten Bevölkerung sehr hoch oben stehen, das ebenso. Man darf nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Klar ist es, wenn die Lage einmal einen gewissen Tiefpunkt erreicht hat, für eine Sport-Gemeinschaft sehr schwierig, den Leuten einen Wettbewerb auf einem Level zu bieten, der Begeisterte in großer Zahl anlockt und den Sport damit auch zu einem ernstzunehmenden Wirtschaftsfaktor macht (was ihn für Sponsoring und generelles Lobbying interessant macht). Aber irgendwelche Möglichkeiten, um in der Sache voranzukommen, wenn genügend interessierte Menschen dahinter sind, finden sich immer. Wie ich das sehe, fehlt es momentan ja schon sehr stark an der Motivation und der richtigen Grundeinstellung, bis hin zur Zielorientierung. Da fängt in Wahrheit die Katastrophe an. Denn die ist hausgemacht.

Es stimmt natürlich, daß weder die gegenwärtige Führung des Rallyesports durch die FIA noch die aktuellen Wirtschafts-Strukturen besonders gut dafür geeignet sind, einen bunten, spannenden Rallyesport zu fördern. Gleich ob in der Weltmeisterschaft oder überall darunter. Diskussionen über Klimaschutz, mit oft realitätsfernen Forderungen, wie sie in der heutigen Zeit oft stattfinden, sind auch nicht unbedingt so hilfreich. Wenn man sich aber die Rallye-Kultur in Ländern wie Lettland, Estland oder Belgien ansieht, dann sollte man sich schon fragen: Was können die, was die deutschsprachigen Länder nicht können? Was haben die, was wir nicht haben? Wir waren einmal führend auf dem Gebiet der Fahrzeug-Produktion und –Entwicklung, Persönlichkeiten wie Siegfried Marcus, Carl-Friedrich Benz, Gottlieb Daimler oder Ferdinand Porsche haben wesentliche Pionierleistungen in der Auto-Konstruktion erbracht, die Maybachs, Horchs, Borgwards und so weiter haben ihr Erbe erfolgreich weitergeführt. Dazu unsere großen Motorsport-Persönlichkeiten. Wir sollten diese Tradition, die viele andere Länder (die teilweise sehr erfolgreich Rallyesport ausrichten!) nicht haben, mit Stolz und Würde weiterführen. Und auch auf dem Rallye-Sektor prachtvolle Fußabdrücke hinterlassen. Wäre doch gelacht, wenn uns da nicht noch große Würfe gelingen würden!

Was sicher stimmt: Bei den momentanen globalen wirtschaftspolitischen Konstellationen, die sich unter Anderem auch auf das Verhältnis FIA – Fahrzeughersteller sehr stark niederschlagen, wird es sehr schwierig sein, einen Rallye-Teilnehmer aus dem deutschsprachigen Raum in ein Rally1 bzw. WRC-Cockpit zu bekommen. Eher sogar EXTREM schwierig. Aber erstens einmal kann sich an der Wirtschaftskultur und –Struktur auch Einiges ändern – vielleicht auch wieder einmal zugunsten davon, daß auch wieder ein schlichter deutscher Arbeitersohn, der entsprechend Talent und Fleiß hat, ohne viel Protegieren WRC-Werksfahrer wird. Und zum Zweiten: Auch wenn in der nächsten Zeit kein deutscher Sportler in der Top-Kategorie der Rallye-WM in Erscheinung treten sollte – wenn die deutsche Rallye-Kultur in ihren Grundfesten gestärkt werden könnte, sie in ihrer Erscheinung wieder bunter und beachtenswerter werden sollte – und damit repräsentativer für ein breites Publikum (mit der DRM als wichtigstem Aushängeschild) – wäre damit auch schon extrem viel gewonnen, und es könnten viele Menschen einen positiven Nutzen daraus ziehen. Das allein ist sehr viel Einsatz wert, wie ich finde! :-D

Das Ganze beginnt im Kopf, wie ich finde. Wie gesagt: Was in Estland oder Belgien möglich ist, muß in Deutschland oder auch Österreich schon lange möglich sein! Es muß einfach nur wieder der richtige Geist rein!
Den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen ist nicht zielführend. Denn der führt nach Unten.
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